Zunächst mal ein kurzer Abriss der deutschen Teilnahmegeschichte an dem Wettbewerb, welcher früher einmal Grand Prix de la Chanson hieß, und daher in Deutschland immer noch „Grand Prix“ genannt wird. Inzwischen heißt er längst in der allgemeinen Englischseligkeit „Eurovision Song Contest“, wobei die Franzosen und andere Francophone wahrscheinlich immer noch Grand Prix de la Chanson dazu sagen.
Seit die Schlagersängerin Nicole 1982 mit dem von ihm geschriebenen Lied „Ein Bisschen Frieden“ den Wettbewerb gewann, war Ralph Siegel als deutscher Grand Prix-Komponist gebucht; zumindest glaub ich das irgendwie. (Moment: er hat insgesamt 19 Grand Prix-Songs verfasst, drei mal für Luxemburg, einmal für die Schweiz, dieses Jahr für Montenegro und die übrigen Male für Deutschland, vor Nicole 4mal, danach 9mal)
Sowohl die Punktevergabe im eigentlichen Wettbewerb als auch der Modus der deutschen Vorauswahl veränderte sich, Telefonabstimmung, Juryentscheid, mal so mal so.
Seit dem Sieg 1982 variierte die Platzierung der deutschen Teilnehmer stark, und in den 90ern wurde die Veranstaltung fast nur noch als Witz gesehen. 1998 schließlich gewann der leicht ironische Post-Schlagersänger Guildo Horn mit einem Lied aus der Feder Stefan Raabs (unter dem Pseudonym Alf Igel) und erreichte im eigentlichen Wettbewerb den 7. Platz.
Danach glaubten unter anderem Rudolf Mooshammer und Big Brother-Teilnehmer Slatko am Vorentscheid teilnehmen zu müssen. Raab nahm selbst noch mal teil (2000), und sein Protegé Max Mutzke konnte sich 2004 im deutlich aufgejazzten Vorentscheid (in einer NDR-VIVA-Kooperation) gegen „Popgrößen“ aller Couleur durchsetzen (zB. Mia, Westbam, Wonderwall, Laith-Al Deen, Scooter sowie Overground, wer erinnert sich?), leider aber nicht Europa mit seinem Auftritt überzeugen. Danach bewarben sich Pop-Sänger und -gruppen gegen Interpreten mit Schlagerhintergrund im Vorentscheid, wobei sich praktisch immer erstere durchsetzten. Die DSDS-Teilnehmerin Gracia, auch Olli Dietrichs Countryband Texas Lightning oder Schlager-Swinger Roger Cicero konnten nicht überzeugen. Nachdem die erste deutsche Castingband No Angels 2008 mit einem extrem schlechten Auftritt und einem mäßigen Lied vorvorletzter wurden verzichtete der zuständige NDR dieses Jahr ganz auf einen öffentlichen Vorentscheid und schickte den Techno-Produzenten Alex Christensen („Du hast den schönsten Arsch der Welt“) aka. U96 („Das Boot“) ins Rennen — und der wurde mit dem Sänger Oscar Loya zusammen… genau: vorvorletzter.
Deutschland verbindet mit dem Grand Prix, so sehe ich das, ein ungeheurer Minderwertigkeitskomplex, der wie so oft, mit einer furchtbaren Selbstüberschätzung einher geht. So wurde das schlechte Abschneiden Deutschlands und die Sieger der letzten Jahre in einem perfiden Ausdruck unterschwelligen Fremdenhasses auf osteuropäische Vetternwirtschaft und Punkteschieberei geschoben, aber an der Qualität der Beiträge wurde nie gezweifelt. Schlimmer noch, keine kam auf die Idee einfach mal zu sagen: na und? Nächstes Jahr wird’s besser. Wurde es so oder so aber auch nicht. Und das liegt, grob geschätzt daran, dass was in Deutschland gut läuft und populär ist, längst nicht in Europa ankommen muss: Neoswing und Neocountry zum Beispiel.
Zwar schien eine Weile alles zu gut laufen, was ethnisch-tanzmäßig angehaucht war, so die türkische Siegerin Sertab Erener oder die ukrainische Ruslana, doch dann zeigte der Grand Prix sich 2006 von seiner wohl irrsten Seite und die finnische Rockgruppe Lordi, die ihre instrumente nicht live spielen durfte und streng genommen auch gar nicht singt, gewann den Gesangswettbewerb, wohl weil sie einfach mal anders waren. Dieses Jahr schließlich setzte sich ein junger Norweger weißrussicher Herkunft durch, mit einer gefidelten Nummer, für welche man in den 90ern die Kelly Family ausgelacht hätte.
Was lernen wir daraus? Es geht im Eurovision Song Contest um die Show, um den Spaß an der Teilnahme, aber bestimmt nicht um neue Trends oder wirklich gute Musik– unterm Strich ganz einfach um: GUTE UNTERHALTUNG. Genau die blieb 2009 ein bisschen auf der Strecke, da der spannendste Teil des Abends, die Punktevergabe nämlich, äußerst unspannend, weil deutlich verlief. Unspannend aber aber war auch das deutsche Vorgehen. Christensen im Hinterzimmer auszusuchen, war dumm. Schließlich ist der Vorentscheid eine gute Gelegenheit, eine Superunterhaltungsshow zu machen, aber das kann man wohl beim NDR nicht, zumindest nicht jenseits von Quizsendungen mit Jörg Pilawa.
So groß war die Verzweiflung, man wollte Raab ins Boot holen, was aber scheiterte. Danach diente sich Dieter Bohlen an, und Spiegel Online zimmerte auch noch nen Artikel zusammen, in dem sich Oliver Welke zu Wort meldete (warum?!) und zum dritten Mal die Zitate Raabs verwurstet wurden, die erst morgen im Print-Spiegel erscheinen. Raab wäre wohl zu teuer geworden und Bohlen wird seinen Tipps auch nicht umsonst geben. Ich aber mache das.Zunächst mal ein Tipp für ne erfolgreiche Nummer. Ein Bollywood-angehauchtes Stück, mit englischem und deutschen Text. Vorgetragen von einer buntgemischten Gruppe, natürlich einige davon mit indischem Hintergrund.
Warum das gut wäre? Nun ja. Es wäre genau peinlich und anbiedernd genug, ein wenig dem Trend hinterher, und es wäre anders. Wenn man da ne gute Nummer zusammenschraubt oder -klaut ist definitiv die Top 5 drin. Aufgepasst, dass uns die Briten da nicht zuvorkommen, schließlich haben die imperial- und kolonialhistorisch bedingt nen Vorteil, da sie eher ne Verbindung zum indischen Kulturraum haben.
Zweiter Tipp, welcher nur bedingt damit zusammenpasst:
Einfach mal versuchen, das Optimum rauszuholen. Statt nur einer mauen Freitagabendshow, oder gar der überhaupt nicht öffentlichkeitswirksamen Hinterzimmerentscheidung eine mehrwöchige Casting-Reihe, die nicht zwingend schlecht von bisherigen Formaten geklaut sein muss. Dazu braucht man bloß Juroren und Coaches die gut in ihrem Fach sind. Man kann sogar Ralph Siegel in die Jury setzen, wenn’s sein muss. Aber n richtiges Konzept hab ich noch nicht. Aber lustig wird der Grand Prix bestimmt wieder werden, nächstes Jahr. Trotz allem.
Während dieser Artikel verfasst wurde erschien auch noch diese Klage Christensens über mangelnde Unterstützung durch den NDR.
Großbritannien mit Jade Ewen (und einem Lied aus der Feder von Andrew Lloyd Webber) und Frankreich mit Patricia Kaas haben doch bewiesen, daß man durchaus auch mit Würde und Selbstachtung am ESC teilnehmen kann, auch als großes Land! Deutschland hat sich sein routiniertes Versagen seit über einer Dekade schon selbst zuzuschreiben!